Domenico Zampieri (1581-1641), aufgrund seiner geringen Körpergröße von Jugend an Domenichino (kleiner Domenico) genannt, zählt zu den bedeutendsten und einflussreichsten Vertretern der italienischen Seicento-Malerei. Umfassend gebildet und interessiert an kunsttheoretischen Studien, strebte er nach der Verwirklichung eines überzeitlichen Schönheitsideals (idea della bellezza), orientiert an Vorbildern aus Antike und Renaissance. Seine Werke finden sich vorwiegend in Kirchen, Palästen und Museen der Stadt Rom, wo er über drei Jahrzehnte hinweg tätig war.

Ausbildung

Geboren in Bologna als Sohn eines Schuhmachers, ging Domenichino zunächst bei Denis Calvaert in die Lehre, in dessen Werkstatt mehrere hoffnungsvolle Talente wie Guido Reni, Giovanni Batista Bertusio und Francesco Albani ausgebildet wurden. Von Calvaert, dem gebürtigen Flamen, erlernte Domenichino ein ausgewogenes Kolorit, eine an Raffael geschulte Figurenerfassung sowie die Gestaltungsprinzipien nordalpiner Landschaftsmalerei, die sich Calvaert während seiner eigenen Ausbildungszeit in Antwerpen angeeignet hatte. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Lehrer wechselte Domenichino, ebenso wie etliche seiner Studienkollegen, in die so genannte Accademia degli Incamminati, die von den berühmten drei Caracci, Agostino, Annibale und Ludovico, geführt wurde. Insbesondere Annibale nahm sich des begabten jungen Malers an und machte ihn zu seinem bevorzugten Assistenten. Die Accademia degli Incamminati, 1582 gegründet, war eine der ersten Kunstakademien, in denen Bildende Künstler, Literaten, Musiker und Wissenschaftler gleichermaßen verkehrten und eine Atmosphäre des offenen Austausches unter den Disziplinen gepflegt wurde. Eine Besonderheit der hier angebotenen Malerausbildung bestand in der Möglichkeit zum Studium am nackten Modell, eine Praxis, die von der Katholischen Kirche in Zeiten der Gegenreformation bekämpft wurde.

Frühe Jahre in Rom

1602 ging Domenichino nach Rom, wo er Annibale Caracci bei der Ausführung der Fresken in der Galerie des Palazzo Farnese unterstützte. Er vollendete Die Jungfrau mit dem Einhorn nach einem Entwurf seines Mentors und schuf anschließend als eigenständige Werke drei Fresken in der Loggia del Giardino. Eine intensive Förderung erfuhr Domenichino durch Monsignore Giovanni Battista Agucchi, einem kunstliebenden Kleriker, der als Sekretär des Cardinals Aldobrandini und später des Papstes Gregor XV. einigen Einfluss auf das Kunstschaffen in der Stadt besaß. Agucchi verfasste selbst kunsttheoretische Schriften, befasste sich vertieft mit der Frage nach dem Schönen in der antiken Kunst und war für den strebsamen Domenichino ein wertvoller Gesprächspartner und Anreger. Auf Vermittlung Agucchis erhielt der junge Bologneser den Auftrag zur Ausmalung der Cappella dei Santissimi Fondatori in der Abtei Grottaferrata, der bedeutendsten Arbeit im ersten Jahrzehnt seiner Tätigkeit in Rom. Hinzu kamen Fresken in der Kirche Sant’Onofrio, Stuckimitationen im Palazzo Mattei, eine großformatige Geißelung des Hl. Andreas in San Gregorio Magno und ein Deckengemälde mit dem Leben der Diana in der Villa Odescalchi in Bassano.

Mit dem Tod Annibale Caraccis im Jahre 1609 etablierten sich dessen Bologneser Schüler, neben Domenichino auch Albani, Reni und Lanfranco, als führende Maler Roms. 1612 begann Domenichino die Arbeit an seinem Hauptwerk, dem Freskenzyklus zum Leben der Hl. Cäcilie in der Kirche San Luigi dei Francesi, den er 1615 vollendete. Ebenfalls in dieser Zeit schuf er für die Kirche San Girolamo della Carità das Altarbild mit der Letzten Kommunion des Hl. Hieronymus, das ihm höchste Anerkennung eintrug und im künstlerischen Rang mit Raffaels Verklärung Christi gleichgesetzt wurde. 1616 folgten das Deckengemälde mit der Himmelfahrt Mariens in Santa Maria in Trastevere sowie zehn Fresken zum Leben des Apoll im Gartenpavillon der Villa Aldobrandini in Frascati.

Domenichino - Freskomalerei in der Cappella dei Santi Fondatori
Freskomalerei in der Cappella dei Santi Fondatori. Domenichino bemalte die Kapelle in Rom zwischen 1609 und 1612 /// Foto: Web Gallery of Art

Architekt im päpstlichen Dienst

Ab 1617 arbeitete Domenichino wieder in Bologna und anschließend in Fano, wo er die Nolfi-Kapelle in der Kathedrale mit Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria ausschmückte. Mit der Wahl des aus Bologna stammenden Papstes Gregor XV. kehrte Domenichino 1621 nach Rom zurück und wurde zum päpstlichen Architekten ernannt. Er realisierte zwar nur wenige Bauten, bewies jedoch mit einer größeren Zahl von Zeichnungen zu diversen Projekten, darunter der Fassadenentwurf für die Kirche Sant’Andrea della Valle, sein außergewöhnliches architektonisches Talent. Neben seinem Amt war er weiterhin als Maler tätig und schuf zahlreiche Altarbilder, so für San Lorenzo in Miranda, SS. Giovanni Evangelista e Petronio dei Bolognesi, Santa Maria della Vittoria und die Basilika St. Peter. Hinzu kamen Wand- und Deckenfresken im Palazzo Costaguti, in San Silvestro al Quirinale und in San Carlo ai Catinari. Zu einer künstlerischen Konfrontation mit Lanfranco kam es anlässlich der Ausmalung von Sant’Andrea della Valle, wo Domenichino den Chor und die Pendentifs in der Vierung dekorierte und sein Rivale die darüber befindliche Kuppel.

Domenichino Bemahlung der Chorkuppel in der Kirche Sant’Andrea della Valle in Rom
Dieses Bild zeigt die Bemahlung der Chorkuppel in der Kirche Sant’Andrea della Valle in Rom. Gezeigt werden Ausschnitte aus dem Leben des heiligen Apostels Andreas. Domenichino 1622-28 /// Foto: Web Gallery of Art

Neapel sehen…

Obwohl er in Rom sehr gut beschäftigt war, übernahm Domenichino 1631 den lukrativen und prestigeträchtigen Auftrag, die Cappella del Tesoro di San Gennaro in der Kathedrale zu Neapel auszumalen. Das Lebens- und Arbeitsumfeld in Neapel erwies sich indessen nicht nur als schwierig, sondern gar als ausgesprochen gefährlich, und dies aufgrund der Machenschaften einer Gruppe ortsansässiger Maler um den Spanier Jusepe de Ribera, die unter dem Namen „Kabale von Neapel“ bekannt wurde. Ziel dieser Leute war es, auswärtige Künstler an der Übernahme und Ausführung von Aufträgen in Neapel zu hindern, indem sie sie belästigten oder gar mit dem Leben bedrohten. Auch Domenichino wurde zum Ziel der Anfeindungen der „Kabale“. Zeitweise floh er nach Frascati zur Familie Aldobrandini, da er aber Frau und Tochter in Neapel zurückließ, hatten seine dortigen Auftraggeber ein Druckmittel, um ihn zur Rückkehr zu zwingen. Vor Vollendung seiner Arbeit starb Domenichino im Jahre 1641, möglicherweise vergiftet von seinen Widersachern oder aber durch Selbstmord. Die Werkstatt übernahm sein Assistent Francesco Raspantino.

Künstlerische Charakteristik

Domenichino galt zu seiner Zeit als führend in der Historienmalerei und wurde darin teilweise mit Raffael gleichgesetzt, was als höchstes Lob zu gelten hat. Zum Genre der Historienmalerei zählten damals sämtliche narrativen Bildthemen, also auch christliche oder mythologische Stoffe. Voraussetzung für Domenichinos herausragende Leistungen auf diesem Gebiet waren zunächst seine Gelehrsamkeit und seine kunsttheoretischen Kenntnisse, die ihm die Ausarbeitung eines anspruchsvollen Konzeptes (concetto) ermöglichten. Hinzu kam seine außergewöhnliche Befähigung auf dem Gebiet der Zeichnung, die es ihm erlaubte, das Konzept adäquat umzusetzen. Eine große Anzahl meisterhafter Studien in der Königlichen Sammlung auf Schloss Windsor belegen die akribische Vorarbeit, die der Maler zur Entwicklung seiner Kompositionsentwürfe leistete. Und nicht zuletzt diente dem Bologneser seine Meisterschaft in der Darstellung des menschlichen Ausdrucks (espessione), die nicht nur auf intensiven Studien am lebenden Modell, sondern vor allem auch auf der Vorbildnahme an herausragenden Monumenten antiker Kunst beruhte.

Bei seiner Beschäftigung mit der Antike ging es Domenichino zu keiner Zeit um ein schlichtes Kopieren von Form, Physiognomie und Geste, sondern um eine kreative Verarbeitung des Vorbilds und letztendlich um dessen Überwindung im Streben nach einem höheren Ideal des Schönen, befreit von den Unvollkommenheiten des Alltäglichen. Die Beschäftigung mit den Vorgaben der Natur stellte für ihn nur den Ausgangspunkt eines gestalterischen Prozesses dar, der durch ästhetische Überformung zu einer gültigen Interpretation des dargestellten Bildthemas führen sollte. Domenichinos Figuren bevölkern gleichermaßen idealisierte Landschaften, die weniger als Beschreibung eines realen Ortes denn als Schilderung einer Stimmung zu betrachten sind. Er schuf damit die Grundlage für die klassisch-poetischen Landschaftsdarstellungen eines Claude Lorrain und einer großen Zahl von Nachfolgern.

Domenichinos Augenmerk war darauf gerichtet, die Regungen (affetti) des menschlichen Geistes eindrücklich ins Bild zu setzen, um so die Leidenschaften (passioni) des Betrachters zu wecken. Dieses Konzept verband ihn mit zeitgleichen Bestrebungen in der Musik, insbesondere mit dem Wirken des Florentiner Hofkomponisten Giulio Caccini und anderer Vertreter des so genannten „Stile moderno“, einer musikalischen Bewegung, die sich auf den Komponisten Claudio Monteverdi berief. Domenichino besaß eine tiefe Verbindung zur Musik und befasste sich selbst mit der Entwicklung von Musikinstrumenten, die nach antikem Vorbild dazu zu geeignet schienen, die Emotionen des Hörers anzusprechen.

Berühmt war der Bologneser Maler für seine sprichwörtliche Langsamkeit, mit der er bereits als Student auffielt und die sich im Laufe seines Arbeitslebens noch steigerte. Geschwindigkeit und Leichtigkeit in der Ausführung, wie sie beispielsweise an den Caracci bewundert wurden, waren für Domenichino nicht Ausdruck einer genialischen Veranlagung, sondern stets das Ergebnis intensiven Studiums und anhaltender Übung. Mit dieser Ansicht befand er sich im Gegensatz nicht nur zur zeitgenössischen sondern auch zur heutigen Betrachtungsweise von Genie und künstlerischem Talent.

Plagiatsstreit

Domenichino griff auch die Bildkompositionen befähigter Vorgänger und Zeitgenossen auf, was ihm letztendlich den Vorwurf des Plagiats eintrug. Die künstlerische Rivalität mit seinem früheren Lehrgenossen Giovanni Lanfranco gipfelte in dessen Vorwurf, Domenichino habe für seine Darstellung der Letzten Kommunion des Hl. Hieronymus die Komposition eines Bologneser Altarbilds gleichen Themas von der Hand Annibale Caraccis gestohlen. Zur Unterstützung seiner Behauptung ließ Lanfranco einen Nachdruck von Caraccis Gemälde anfertigen, den er anschließend in Rom verbreitete. Eine größere Zahl von Künstlern und Kunstkritikern, darunter auch Nicolas Poussin, waren genötigt, dazu Stellung zu nehmen. Allerdings fielen die Reaktionen mehrheitlich dahingehend aus, dass Domenichinos Arbeit als Glanztat der kreativen Umsetzung und Optimierung eines Vorbilds gepriesen und seine Reputation weiter vermehrt wurde.

Herausragende Werke

Der Freskenzyklus mit dem Leben der Hl. Cäcilie in San Luigi dei Francesi stellt die inszenatorische Begabung Domenichinos nachdrücklich heraus ebenso wie seine Fähigkeit, lebhafte Handlungsmomente, ausdrucksvolle Mimik und sprechende Gesten in ein kompositorisches Gleichgewicht zu bringen, das der Darstellung eine über allen stilistischen Fragen stehende Perfektion verleiht. Die Hl. Cäcilie, Spross einer wohlhabenden römischen Familie, trat zum christlichen Glauben über und erlitt den Opfertod, nachdem sie ihre Reichtümer unter die Armen verteilt hatte. Die von Domenichino geschaffene Szenenfolge, in der die Ereignisse gemäß der Choreographie eines Bühnenauftritts ausgebreitet werden, gilt als Meilenstein abendländischer Kunst. Mit seiner grundlegend klassizistischen Ausrichtung tritt der Zyklus in beredten Kontrast zu den großformatigen Darstellungen von Berufung und Martyrium des Hl. Matthäus, mit denen Caravaggio einige Jahre zuvor eine Kapelle auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchenschiffs ausgestattet hatte. Das dramatische, nahezu dämonische Chiaroscuro, in dem Caravaggio die Handlungsmomente zeichnet, und die dynamisch aufgeladenen Kompositionen, lassen das Prinzip harmonisierter Balance in Domenichinos Gestaltungsweise umso deutlicher hervortreten.

Das erwähnte Altarbild mit Darstellung der Letzten Kommunion des Hl. Hieronymus, heute in der Pinacoteca Vaticana ausgestellt, gilt als früher Höhepunkt in Domenichinos Kunst, ebenso wie als Inkunabel der Auseinandersetzung um den Wert nachahmender Kunstausübung. Mehrere wissenschaftliche Facharbeiten befassen sich allein mit der Frage, wie Domenichino Vorbilder aufgriff und modifizierte, um sie in einem Prozess formaler Läuterung auf eine höhere Idealitätsstufe zu heben. So zeigt der Vergleich mit dem Bologneser Altarbild Annibale Caraccis, dem Domenichino die grundsätzliche Bildanlage zu seiner Version der Letzten Kommunion entlehnt hatte, mit welcher Eleganz, Balance und Feinheit im Ausdruck er eine Vorgabe auszudeuten vermochte.

malte Die letzte Kommunion des Hl. Hieronymus 1614 gemalt von Domenichino
Domenichino malte Die letzte Kommunion des Hl. Hieronymus 1614, Öl auf Leinwand /// Foto: Web Gallery of Art

Wirkung

In der späteren Kunstrezeption wurde Domenichinos Art der Verarbeitung von Vorbildern ihm zeitweise zum Verhängnis. Nachdem der angesehene Künstler bis ins 18. Jahrhundert als einer der Vorreiter des italienischen Barock gehandelt worden war, wurde er Mitte des 19. Jahrhunderts in den Schriften des viktorianischen Kunstkritikers John Ruskin zur Bologneser Seicento-Malerei regelrecht diskreditiert und eines unseriösen Eklektizismus bezichtigt. Es dauerte bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, bis Domenichino durch Studien von John Pope-Hennessy und anderen renommierten Forschern als richtungweisend für die Kunstentwicklung seiner Zeit rehabilitiert wurde. Der klassizistische Idealismus des umfassend gebildeten Malers und sein Streben nach dem wahrhaft Schönen in Komposition, Figur und Ausdruck ließen Meisterwerke der Barockmalerei entstehen, die anhaltende Bewunderung erfuhren. Insbesondere die Freskenzyklen Domenichinos wurden über Generationen hinweg von Nachfolgern studiert und fanden einen künstlerischen Widerhall, der weit über seine Zeit hinausreichte.


Titelbild: Domenichino – Diana und die Nymphen – 1616-17, Galleria Borghese Rom /// Foto: Web Gallery of Art

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