Ein erster Eindruck hinterlässt die Staatsgalerie Stuttgart bei den meisten Besuchern noch bevor sie das zentral gelegene Museum betreten haben. Einige werden die architektonische Komposition von James Stirling, als würdige Hülle für die Kunstsammlung im Innern anerkennen. Andere Besucher werden sich dagegen an die Schulzeit zurückerinnert fühlen, wo ein Architekt mit genügend Farbe den tristen Schulalltag aufzuheitern versuchte. Das Museum in der Landeshauptstadt Baden-Württemberg besteht aus insgesamt drei Gebäuden, in denen die Sammlung von rund 5.000 Gemälden und Plastiken, 400.000 Graphiken und weiteren rund 150.000 Archivalien untergebracht ist. Übrigens sind die reich bestückten Archive ein Anziehungspunkt für Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Aber auch für interessierte Laien sind die zahlreichen Dokumente auf Anfrage einsehbar.
Die Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart wird von zwei Hauptströmungen dominiert. Dabei handelt es sich zum einen um die historischen württembergischen Kunstrichtungen und zum anderen um internationale Werke. Wo der Fokus der Kunstsammlung auf der amerikanischen Avantgarde nach 1945 liegt. Die Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart deckt ein sehr breites Spektrum an europäischer Kunst ab.
Die Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart
Im Bereich der historischen Gemäldesammlung befinden sich Werke aus der Zeit der Altdeutschen Malerei vom 14. Jahrhundert bis Mitte des 16. Jahrhunderts. Unter anderem glänzt das Museum mit einer bedeutenden Sammlung altschwäbischer Kunst. Dazu zählen der Prager Altar aus der Veitskapelle in Mühlhausen und die Darstellung der Maria als Thron Salomonis aus Bebenhausen. Die Italienische Malerei aus der Epoche von 1300– 1800 ist mit biblischen Themen vertreten. Mehr als einen Blick wert sind die Darstellungen der Apokalypse der Erbach’schen Tafeln. Aber auch die Gemälde aus den Epochen des Manierismus und des Barock sorgen für einen hohen Kunstgenuss.
Flämische und holländische Kunst aus der Niederländischen Malerei von 1500- 1700 gehört ebenfalls zum reichen Spektrum der ständigen Ausstellung.
Der Maler Gottlieb Schick ist ein bedeutender Vertreter der Südwestdeutschen klassizistischen Kunst. Selbstverständlich gehören Werke dieses Künstlers zur Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart. Das Museum legt in seiner Arbeit hohen Wert auf regionale Aspekte. Diese tiefe Verbindung mit dem „Ländle“ rund um Stuttgart ist Teil des Selbstbildes und wird mit dem Besitz und der Ausstellung von Werken aus der Epoche des Schwäbischen Klassizismus betont.
Einen weiteren herausragenden Akzent in seiner Sammlung setzt die Staatsgalerie mit seinen kostbaren Stücken der Europäischen Malerei des 19. Jahrhunderts. In dieser Sektion sind namhafte deutsche Künstler wie Caspar David Friedrich und Anselm Feuerbach vertreten. Eines der Hauptwerke von Anselm Feuerbach ist im Besitz der Staatsgalerie. Dabei handelt es sich um die überlebensgroße „Iphigenie“. Feuerbach malte dieses Werk im Jahr 1871. Zur ständigen Ausstellung der Staatsgalerie gehören Werke der französischen Künstler Gustave Courbet, Paul Gaugin, Auguste Rodin und Claude Monet. Ihre Gemälde sind den Stilen des Realismus und des Postimpressionismus zuzuordnen.
Die Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart
Mit Recht ist das Museum stolz auf seine umfangreiche Graphische Sammlung, denn sie umfasst rund 400.000 Blätter! Sie gewährt einen tiefen Einblick in die Entwicklungslinien der graphischen Kunst.
Deutsche Zeichnungen und Druckgraphik vor 1800
Aus dieser kunsthistorischen Ära besitzt das Museum einige Zeichnungen der spätgotischen Kunst. Die Renaissance ist mit kostbaren Arbeiten von Albrecht Dürer, Lukas Cranach und Hans Baldung vertreten. Der regionale Bezug der Sammlung lässt sich an Künstlern festmachen, die im 17. und 18 Jahrhundert im süddeutschen Raum ihre Werke geschaffen haben. Der Fokus liegt auf den Zeichnern Johann Georg Bergmüller, Januarius Zick und Johann Heinrich Schönfeld. Die Techniken der historischen Zeichnungen in diesem Bereich der Sammlung umfassen die Anfänge des Bilddrucks, die frühen Meisterwerke des Kupferstichs, Holzschnitte und Mal-Radierungen.
In der Graphischen Sammlung sich auch Werke aus der italienischen, französischen und niederländischen Kunst aus der Zeit vor 1800 zu sehen. Die Zeitreise geht dann weiter und wird in den beiden Abteilungen: Zeichnungen und Druckgrafiken des 19. und 20. Jahrhunderts präsentiert.
Illustrierte Bücher und Buchobjekte
In diesem Teil der Sammlung dreht es sich um die Historie der Illustration von Literatur. Der Fokus liegt auf der Geschichte des Bilddrucks in Büchern, wie auch auf literarischen Werken zu Kunstsammlungen, graphischen Techniken und die reiche Geschichte der Kunst. Ein besonderes Highlight ist das Buch „Le Chant des Morts“ von Pablo Picasso und Pierre Reverdy. Es ist 1948 erschienen und enthält 125 Farblithografien. Außergewöhnliche sind die französischen Malerbücher des 19. und 20. Jahrhunderts, von Delacroix bis Matisse und Picasso!
Plakatsammlung
Mit dem Sammeln von Plakaten wurde vor fast einhundert Jahren begonnen. Im Jahr 1973 hat die Staatsgalerie Stuttgart diese kunsthistorisch äußerst wertvolle Sammlung vom Landesgewerbeamt bekommen. Zum Zeitpunkt der Übergabe waren die Plakate noch rein nach Warengruppen und Gewerbesparten geordnet. Das Museum hat sich der Aufgabe angenommen, diese Plakate den jeweiligen Künstlern und Designern zuzuordnen.
Das „Marcel Duchamp-Kabinett“
Der Künstler Marcel Duchamp gehörte zu den „Radikalen“ in der Kunstszene, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts formierte. Als begeisterter Mathematiker ließ er sich vom analytischen Charakter der Kubismus inspirieren. Neben Gemälden schuf er auch Objekte, die er „Ready-mades“ nannte. Damit wollte er ausdrücken, dass diese Dinge nur durch die Auswahl und Bearbeitung des jeweiligen Künstlers zu einem Kunstobjekt werden. Duchamp gehörte zu einer Avantgarde von Künstlern, die ein bis dahin unbekanntes Verständnis von Kunst vermittelten. Die Staatsgalerie Stuttgart begann in der Mitte der 1970er Jahre mit dem Aufbau der Sammlung rund um den Rebell der Kunst. Das „Marcel Duchamp-Kabinett“ mit seinen etwa 300 Werken zählt inzwischen zu den umfangreichsten Sammlungen im deutschsprachigen Raum. Das Kabinett wird ständig erweitert. Im Jahr 1973 erwarb die Staatsgalerie das „Serge Stauffer-Archiv“, welches in das „Marcel Duchamp-Kabinett“ integriert wurde. Das „Serge Stauffer-Archiv“ umfasst circa 500 Dokumente, darunter auch die einzige deutsche Übersetzung der 289 „posthumen Notizen“ von Marcel Duchamp, die von Serge Stauffer geschrieben wurde.
Die Bibliothek der Staatsgalerie Stuttgart
Dabei handelt es sich um eine wissenschaftliche Spezialbibliothek zur Kunst. Sie setzt sich aus einem Bestand von etwa 120.000 diversen Medien zusammen. Die Themen der Monographien, Nachschlagewerke, Ausstellungskataloge und Zeitschriften sind: Die klassische Moderne, die Altdeutsche und Italienische Malerei, Zeitgenössische Kunst und alle Sparten der Graphik. Der Standort der Bibliothek der Graphischen Sammlung liegt im Steibbau, die Bibliothek der Gemäldesammlung ist im Stirlingbau untergebracht.
Ein unwillkommener Mäzen
Eine besondere Geschichte verbindet das Museum in Stuttgart mit dem Kunstsammler und Anhänger der Avantgarde Ottomar Domnick. Schon im Jahr 1952 hatte er die Absicht, seine Sammlung abstrakter Malerei an die Staatsgalerie zu übergeben. Doch die Zeit war wohl noch nicht reif für eine Schenkung dieser Art. Es lag auch an den damals noch recht begrenzten Räumlichkeiten im Museum. Der Hauptgrund dürfte dennoch im konservativen Denken der damaligen Entscheider liegen. Man einigte sich auf den Bau eines Museumsensembles, welches dann bei Nürtingen bei Stuttgart realisiert wurde. Die Sammlung Domnicks wurde dann eine Stiftung an das Land. Eine erneute und bis heute gebliebene Verbindung besteht darin, dass die Staatsgalerie in Zusammenarbeit mit der Stiftung Domnick das Museum in Nürting konservatorisch betreut. Es handelte sich also um eine Kooperation über Umwege, dafür befindet sich die Sammlung Domnick in landschaftlich höchst reizvoller Lage und lohnt ganz bestimmt einen Abstecher nach Nürtingen.
Die Zurückweisung der Reichtümer aus dem Bereich der Avantgarde wurde später bereut. Der erfolglose Mäzen hatte sicher auch Marcel Duchamps Einstellung im Sinn. Der Künstler war der Ansicht, dass Kunst nicht nur dafür gemacht wird, um das Auge zu erfreuen, sondern auch um das Gehirn des Betrachters zu fordern. Duchamp unterschied deshalb zwischen der retinalen Kunst, die rein für das Auge da ist und den Werken, die den Betrachter dazu bringen, ihre Bedeutung selbständig zu erfassen. Denken Sie beim Besuch der Staatsgalerie Stuttgart auch an diesen künstlerischen Anspruch, während Sie dort ganz sicher ebenfalls einen hohen Genuss für das Auge finden.
Die Geschichte der Staatsgalerie Stuttgart
Der älteste Teil des Gebäudes stammt von 1843. Heute wird dieses Modul als Alte Staatsgalerie bezeichnet. Der Architekt Gottlob von Barth entwarf die klassizistische Dreiflügelanlage. Im 19. Jahrhundert hatte die Alte Staatsgalerie eine doppelte Funktion, denn sie beherbergte nicht nur die Kunstsammlungen. Auch die königliche Kunstschule nutzte ihre Räume. Die Staatsgalerie Stuttgart wird scherzhaft als „dehnbares Museum“ bezeichnet. Diese Fähigkeit stellte sie bereits in ihren Anfangsjahren unter Beweis. Denn schon knappe 40 Jahre nach ihrer Eröffnung wurde die Alte Staatsgalerie um zwei rückwärtige Flügel erweitert. Dieser erste Anbau voller architektonischer Finesse wurde nach den Plänen von Albert von Boks realisiert.
Die Sammlung der Kunstschätze im Museum wuchs stetig, damit die Werke passend präsentiert werden können, wurde die Alte Staatsgalerie im Jahr 1984 um die „Neue“ erweitert. Der Architekt James Stirling löste mit dem Erweiterungsbau nicht nur in Stuttgart großes Aufsehen aus. Die außergewöhnliche Schlängelfassade mit ihren bunten Geländern wird in Fachkreisen sogar als „postmodernes Architekturgedonner“ bezeichnet. Doch Stirling hat auch das Thema der Dreiflügelanlage aufgegriffen und damit den älteren Bauteil gekonnt in Szene gesetzt. In seiner Architektur spiegelt sich die Funktion und Bedeutung des Museums. Und das oft auf die leichte Art, indem historische Bauformen elegant angedeutet oder abgeleitet werden.
Die beiden Basler Architekten Wilfrid und Katharina Steib entwarfen den Erweiterungsbau für die Alte Staatsgalerie, der im Jahr 2002 bezogen wurde. Dabei handelt es sich um ein Gebäude mit fünf Geschossen, das durch Glasbrücken mit den Flügelbauten von 1888 verbunden ist. Dieser jüngste Gebäudezuwachs stellt einen spannenden Gegenpol zu Stirling Erweiterungsbau dar. Denn Wilfrid und Katharina Steib minimierten architektonische Reize und setzten ihren Fokus ganz auf eine schlichte Klarheit.
So wie in ihrer Architektur findet man auch in der Sammlung der Staatsgalerie den Spannungsmoment zwischen Tradition und Moderne. Viele historische Exponate entstammen aus fürstlichem Besitz des 18. Jahrhunderts und aus königlichen Schenkungen des 19. Jahrhunderts. Im modernen Teil der Kunstsammlung wird sich in Stuttgart auf die europäische und amerikanische Avantgarde der Kunstszene konzentriert.
Informationen zur Staatsgalerie Stuttgart
Öffnungszeiten:
Montag: Geschlossen
Dienstag-Sonntag: 10:00-18:00 Uhr
Donnerstag: Bis 20:00 Uhr geöffnet
Eintrittspreise Ausstellung und Sammlung:
Erwachsene: 12.00 Euro
Reduzierter Einlass: 10.00 Euro
Eintrittspreise Sammlung:
Erwachsene: 7.00 Euro
Reduzierter Einlass: 5.00 Euro
Adresse:
Staatsgalerie Stuttgart
Konrad-Adenauer-Strasse 30-32
70173 Stuttgart
Telefon: +49 (0)711 470 40 0
E-Mail: info@staatsgalerie.de
Webseite: www.staatsgalerie.de